Was, wenn die Dinge anders wären, als sie es aktuell sind? Was, wenn ich anders wäre?
Liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie Zadie Smith? Diese mehrfach ausgezeichnete Autorin hat mich mit ihrer ausgesprochen experimentierfreudigen Herangehensweise sehr beeindruckt. Sie geht überaus erfolgreich ihren Weg des "Ergründens der Möglichkeiten der Ich-Erzählung und der Rolle des Autobiografischen in der Literatur". Diesbezüglich erscheinen ihr folgende Fragen existentiell wichtig für ihr schriftstellerisches Schaffen:
Was, wenn die Dinge anders wären, als sie es aktuell sind?
Was, wenn ich anders wäre?
Mit beiden Fragen habe auch ich mich eingehend beschäftigt – und in Beziehung zu meinen Erfahrungen als Auftritts- und Bühnencoach gesetzt. Interessanterweise begleitet mich dieser gedankliche Ansatz bereits in ähnlicher Form (u.a. als die sogenannten "5W-Fragen") als Ausgangslage meiner Profession und unterstützt meine Kund:innen sehr effektiv bei der Erarbeitung aussagekräftiger Präsentationen und Vorträge. Fast hätte ich auch noch das Attribut "authentisch" hinzugefügt – tatsächlich entspricht "glaubwürdig" aber eher meinem Naturell.
Mit dieser Präferenz habe ich mich Anfang Juni auf dem diesjährigen WomenPower-Kongress – der im Rahmen der 2022er-Hannover Messe stattfand – mit meinem Vortrag "Bühne frei! Reden? Sicher. Wirken!" präsentiert. Ohne viel Schnickschnack oder "Tüddelkram", wie wir im Norden zu sagen pflegen. Was ich zu sagen habe, basiert auf einem breiten Fundus langjähriger Erfahrungen, kommt aus dem Herzen – und findet idealerweise ohne Umwege und stilistische Verrenkungen seinen Weg in die Ohren des Publikums. Manche würden diese Direkt- und Unverblümtheit vielleicht als "frei Schnauze" bezeichnen. Wer mich kennt, weiß, dass ich zwar "frei", aber immer auch wohlüberlegt rede. Mich hat das Leben einiges gelehrt – unter anderem, dass ein im besten Sinne des Wortes selbstbewusster Auftritt umso besser gelingt, wenn stets zwei Kategorien von Einflussfaktoren berücksichtigt werden:
Dinge, die ICH beeinflussen kann.
Dinge, die ICH NICHT beeinflussen kann.
Diese zwei "Schubladen" alleine erklären natürlich nicht die Welt, das ist klar. Wenn ich mich jedoch Schritt für Schritt daran mache und beide Kategorien mit Inhalten fülle, entsteht tatsächlich eine Art "Lebenslandkarte" mit gedanklichen Wegweisern, die mir helfen, die Komplexität unserer Existenz zumindest ein wenig greifbarer zu gestalten. Nachfolgend drei direkte Beispiele für die erste Kategorie "Dinge, die ICH beeinflussen kann":
Wie sieht es mit meiner Glaubwürdigkeit aus?
Wie gehe ich mit Nervosität und Lampenfieber um?
Welchen Kommunikationsstil nutze ich?
Der zweiten Kategorie "Dinge die ICH NICHT beeinflussen kann" müssten hingegen u. a. folgende Unvorhersehbarkeiten zugeordnet werden:
Meine Zugverbindung wurde gestrichen.
Meine Vorrednerin I Vorredner hat die Redezeit nicht eingehalten.
Die Präsentationstechnik gibt ausgerechnet dann den Geist auf, wenn ich die Bühne betrete.
Sie merken schon, dass diese simple Kategorisierung dafür sorgt, dass man sich recht unkompliziert für bestimmte Ereignisse vorbereiten – und einen "Plan B" zurechtlegen kann. Der dafür notwendige Mehraufwand verwandelt sich im Laufe der Zeit in beruhigende Routine und verliert seine anfängliche Stigmatisierung als "Zeitverschwendung". Ihre Nerven werden geschont und die Aufmerksamkeit des Publikums (ein stetig wertvollerer "Aktivposten") verpufft nicht im Nirvana, sondern wandelt sich idealerweise in Dankbarkeit um. Und schwuppdiwupp wechseln wir wieder in die erste Kategorie, denn auch Ihre Glaubwürdigkeit profitiert von Ihrer professionellen Vorbereitung. Dazu passende Checklisten habe ich Ihnen kostenfrei auf meiner Webseite zur Verfügung gestellt – sie finden diese aber natürlich auch in meinem Buch "Reden? Sicher. Wirken!".
Komme ich wieder zurück zu den zwei Fragen, die für Zadie Smith – und mich – eine besondere Bedeutung haben:
Was, wenn die Dinge anders wären, als sie es aktuell sind?
Was, wenn ich anders wäre?
Betrachten wir diese im Kontext eines Bühnenauftritts: Ein Auftritt ist immer ein extrovertierter Vorgang – und manchmal im wahrsten Sinne des Wortes eine Gratwanderung. Warum? Weil Sie und ich Menschen sind. Lebewesen. Wir haben einen Körper, eine Seele und Gefühle. Wir drücken uns mithilfe von Sprache, Gestik, Mimik sowie durch unsere innere Haltung und einer Botschaft aus. Auf dieser sensiblen, scharfen Kammlinie – gerade wenn Sie bereit sind, sich zu zeigen, sich zu öffnen – machen sich ungebetene Gäste bemerkbar. Die unliebsamen Besucher nennen sich: Erziehung, Konvention, Glaubenssätze und die Annahmen, wie „Sie zu sein haben“. Wie aus dem Nichts stehen uns die ungebetenen Mahner, Nörgler und Kritiker wieder im Weg. Der Zweifel verdrängt schadenfroh die Vorfreude und macht sich missliebig bemerkbar mit „Kann ich das? Will das jemand hören? Bin ich gut genug?“
Mich haben diese Fragen selbst viele Jahre begleitet. Erst als Teenager, später als junge Frau in der Schauspielschule, dann „auf den Theaterbrettern, die die Welt bedeuten“ und schließlich „als gestandene Frau“ auf dem Weg in die neue berufliche Selbstständigkeit. Nicht verschweigen möchte ich, dass mich diese Fragen natürlich als Mensch, Frau, Lebenspartnerin und später als Mutter mehr als eine schlaflose Nacht bereitet haben. Die unvermeidbaren und unersetzlichen Höhen und Tiefen haben Spuren hinterlassen. Sichtbar an der einen oder anderen Falte (auch reichlich Lachfalten) in meinem Gesicht und – so ist es geplant, – im Herbst/Winter 2022 in meinem dritten Buch.
Mein derzeitiger Arbeitstitel inkl. Kurzbeschreibung lautet „Rahmen, Rollen und Selbstbilder – Wie bringe ich in der Öffentlichkeit meine Botschaft mit meiner Selbst- und Außenwahrnehmung in Einklang? Welche Rollen spiele ich bewusst und unbewusst? Welcher Rahmen passt zu meinem persönlichen Selbstbild?“
Es ist es mir eine Herzensangelegenheit, auch hier meinen Fundus langjähriger Lebenserfahrung zu öffnen. Dieser wurde unzählige Male neu aufgefüllt durch die vielen Reflexionsgespräche sowie der zahlreichen Coaching- und Bühnen-Trainings. Jede einzelne Begegnung hat Spuren hinterlassen, geprägt, unterstützt und oftmals innerlich gefestigt. Ein gegenseitiges Nehmen und Geben. Insofern habe ich mir erlaubt, Ihnen eingebettet in den Rahmen diesem Artikel vorab einige meiner Gedanken aus dem Manuskript zu offerieren. Wenn ich’s dann als Buch fertig gedruckt und glücklich in meinen Händen halte, lasse ich es Sie natürlich wissen.
Herzlichst, Ihre Esther Schweizer
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